Die Sanierung der Combino
Die Rückrufaktion vom 12. März 2004
Im Frühjahr 2004 entdeckten verschiedene Verkehrsbetriebe Risse an ihren Combinos. Was war passiert?
Obwohl der Fahrzeugtyp nach einer vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) herausgegebenen Norm (Nr. 152) berechnet worden war, hatte man die auf das Fahrzeug einwirkenden Kräfte aus der Gleisanlage unterschätzt. Die Folge waren Risse in den Dächern und an den Übergängen zwischen den Wagenkästen.
Untersuchungen der Firma Siemens ergaben, dass im Extremfall Teile des Dachs herunterfallen könnten. Ein solcher Extremfall wäre zum Beispiel eine starke Vollbremsung oder ein schwerer Aufprall. Nach dieser Erkenntnis waren Fahrzeuge, die mehr als 120 000 Kilometer gefahren waren, nicht mehr betriebssicher und mußten abgestellt werden. So erreichte – unter anderen – die Verkehrsbetrieb Potsdam GmbH am 12. März 2004 eine Nachricht mit der Aufforderung, alle 16 Fahrzeuge abzustellen.
Von dieser Maßnahme waren auch Augsburg, Basel, Düsseldorf, Erfurt, Freiburg, Hiroshima und Nordhausen betroffen. Die Fahrzeuge in den Städten Bern, Melbourne, Posen und Ulm hatten zu diesem Zeitpunkt die kritische Kilometerzahl noch nicht erreicht und waren vorerst nicht betroffen.
Untersuchungen mittels Röntgenstrahlen brachten die traurige Wahrheit zutage, alle 16 Combinos in Potsdam wiesen Rißbildungen in unterschiedlicher Stärke auf.
Durch die Abstellung der Combinos fehlten nun diese Fahrzeuge im Regelbetrieb. Als erste Maßnahme wurde ein Notfahrplan eingerichtet, der durch die Wiederinbetriebnahme von abgestellten Tatras bald wieder aufgehoben werden konnte. Selbst die historischen Fahrzeuge mußten kurzzeitig aushelfen (siehe BVB 4/04, Seite 80). Die Idee, sich Fahrzeuge bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) auszuleihen, wozu sich die BVG bereiterklärt hatte, wurde nicht in Anspruch genommen.
Um die Combinos wieder in den Einsatz bringen zu können, wurde von der Firma Siemens die erste Stufe einer Sanierung vorgenommen. Als erste Entlastungsmaßnahme wurden Schwenkwanklager und Freiwegdämpfer zwischen den Wagenkästen eingesetzt, die die Torsionen der Wagenkästen bereits wirkungsvoll dämpften und eine weitere Schädigung der Fahrzeuge reduzierten.
Dieser Einbau brachte betriebliche Einschränkungen mit sich: Wegen der Dämpfung vergrößerte sich die Hüllkurve der Fahrzeuge, das heißt, bei Bogenfahrten schwenkt der Wagen weiter aus als vorher. Somit mußte im Netz von Potsdam an einigen Stellen ein Begegnungsverbot verhängt werden, das bis heute Gültigkeit besitzt:
- Heinrich-Mann-Allee zwischen Sporthalle und Friedhöfe,
- Heinrich-Mann-Allee zwischen Friedhöfe und Hauptbahnhof (Überfahrt zur Straßenmitte)
- Lange Brücke (S-Kurve in Richtung Alter Markt)
- Platz der Einheit/Charlottenstraße.
Dieses Begegnungsverbot gilt, sobald ein Combino beteiligt ist, also auch, wenn ein Combino und ein Tatra oder Variobahn sich begegnen.
410 erreicht die Haltestelle Am Schragen, er ist einer der bereits sanierten Combino.
Foto: Michael Dittrich, 1. Juni 2008
Der Einsatz nach der ersten Sanierung
Die ersten Fahrzeuge konnten am 7. Juni 2004 wieder eingesetzt werden, weil an diesen nur unbedeutende Schäden festgestellt worden waren. Eingesetzt wurden die Combinos 406, 410, 413, 414 und 416. Alle anderen Fahrzeuge mußten erst einer ersten Reparaturmaßnahme unterzogen werden. Anfang August 2004 wurde der Combino 415 wieder in den Fahrgastverkehr gebracht. Durch eine Verschlechterung des Zustands an den Combinos 406 und 410 mußten diese wieder abgestellt werden.
Nach Zulassung durch die Technische Aufsichtsbehörde und die Firma Siemens waren ab 10. September 2004 insgesamt neun Fahrzeuge wieder im Einsatz. Dies waren 406, 408, 409, 410, 412, 413, 414, 415 und 416. Die restlichen Combinos kamen bis zum Jahresende 2004 wieder in den Einsatz.
Diskussionen und Entscheidungen nach der Abstellung
Bereits am 9. Dezember 2003 hatte der Aufsichtsrat der Verkehrsbetrieb Potsdam den Ankauf von vier weiteren Combinos beschlossen. Dieser Entschluß wurde nur wenige Tage vor der Abstellung (12.3.2004) wegen technischer Unwägbarkeiten verschoben. In einer Krisensitzung des Aufsichtsrats des ViP wurde beschlossen, den bestehenden Vertrag mit der Firma Siemens zum 30. Juni 2004 zu beenden und keine weiteren Straßenbahnen von Siemens einzukaufen.
Weiter heftig umstritten war der Fortbestand dieser Fahrzeuge. Eine von der Firma Siemens vorgeschlagene Sanierung wurde von den meisten Experten als unmöglich bezeichnet. Es wurden sogar Forderungen laut, alle bisherigen Combinos an Siemens zurückzugeben und von dem Geld neue Bahnen zu kaufen. Aus Sicht des Verkehrsbetriebs wäre ein solcher Schritt jedoch unwirtschaftlich gewesen: Der Erlös aus dem Verkauf der Combinos hätte nicht ausgereicht, um neue Bahnen kaufen zu können. Es wäre auch gar nicht möglich gewesen, einfach neue Bahnen zu bestellen, dazu hätte eine Ausschreibung erfolgen müssen und dann hätte es mindestens zwei Jahre gedauert, bis die erste Straßenbahn in Potsdam eingetroffen wäre. So lange hätten den Fahrgästen keine niederflurigen Bahnen zur Verfügung gestanden.
Letztendlich entschied man sich doch für die Sanierung der Fahrzeuge, doch bis dahin sollte noch eine lange Zeit vergehen.
Ein Unfall als ungewollter Crash-Test
Am 26. Juni 2005 entgleiste der Combino 413 bei einer Betriebsfahrt vom Bahnhof Rehbrücke zur Glienicker Brücke am Abzweig vor der Waldstraße (siehe BVB 8/05, Seite 158). Bei dieser Entgleisung wurden mehrere Masten (sowohl Straßenlaternen, Ampeln als auch ein Fahrleitungsmast) umgeknickt. Die Ursache für den Unfall war eine falsch gestellte Weiche, auf die der Fahrer nicht vorbereitet war. Der Zug fuhr mit zu hoher Geschwindigkeit in den Bogen ein, wo das Mittelteil des Zuges entgleiste; in dessen Folge sprang auch das hintere Modul aus den Schienen und rammte die Masten.
Entgegen den Befürchtungen der Firma Siemens fiel das Dach des Zuges nicht herunter. Es gab zwar zahlreiche Schäden am Fahrzeug, aber es brach nicht auseinander. Ein solcher Unfall dürfte in seiner Schwere kaum zu überbieten sein. Der Combino 413 wurde zur Reparatur nach Krefeld gebracht und kehrte unsaniert wieder zurück.
Neue Anzeige der Mobilinfo im sanierten Combino 409.
Foto: Michael Dittrich, 29. Oktober 2007
Die grundlegende Sanierung der Combinos
Um eine endgültige Festigkeit der Wagenkästen gewährleisten zu können, mußten alle Combinos einer grundlegenden Sanierung unterzogen werden; diese Arbeiten fanden im Siemens-Werk in Krefeld statt.
Diese weitere wesentliche Entlastungsmaßnahme der Rohbaustruktur im Zuge der Sanierungsstufe 2 umfaßte die Dämpfung der Drehbewegung des Fahrwerks; sie senkt die Lenkerkräfte durch den Verzehr von Stoßenergie wirkungsvoll ab. Dies führt in der Summe zu einer Reduzierung der Kraftspitzen um 50 Prozent. Dem Ziel der Verstärkung diente der Ersatz der überlasteten Schraubecken durch betriebsfeste Bauteile sowie das Entfernen bzw. Überbrücken beschädigter Strukturbereiche. Dabei war es erklärtes Ziel, die Torsionssteifigkeit nicht wesentlich zu erhöhen – wäre doch die Erhöhung der Torsionskräfte die unmittelbare Folge gewesen. Weitere Forderungen an die Auslegung der Verstärkungsmaßnahmen waren die Beibehaltung des Gewichts, des Designs und der Funktionalität des Fahrzeugs. Die Umsetzung zeichnete sich durch Blech-, Strangpreß-, Guß- und Schmiedeteile aus, welche mit der bestehenden Struktur verschraubt und verschweißt wurden. Die geschweißte Endportalverstärkung kam sowohl an den Mittel- als auch an den Fahrwerks- bzw. Kopfmodulen zum Einsatz. Sie stellt nicht nur eine elegante Lösung für eine der höchstbelasteten Stellen des Fahrzeugs dar, sondern spart auch noch gegenüber der Originallösung Gewicht ein. Ferner wurde die obere Ecke des Portals nun mit einer Schweißkonstruktion überbrückt.
Bei den Verbindungsstellen der Fenster- und Türsäulen zum Obergurt lag die Aufgabenstellung nicht nur darin, die deutlich überlasteten Schraubwinkel durch geeignete Konstruktionen zu ersetzen, sondern auch der Tatsache der fortgeschrittenen Materialermüdung im Obergurt Rechnung zu tragen. Die Prinziplösung (Doppeleckverbinder) bestand deshalb in einer Verlängerung der Säule, die auf eine höhere, unbeschädigte Ebene des Obergurts greift, ohne auf Türen oder Klappfensterecken Rücksicht nehmen zu müssen. Das Verstärkungsteil ist als Aluminium-Schmiedeteil ausgeführt, wobei der Anschluß an den Obergurt als Schraub-, der Anschluß an die Tür- und Fenstersäule als Schweißverbindung gestaltet ist.
Als erster Combino wurde der Wagen 409 am 22. Mai 2006 zur Sanierung in Richtung Krefeld verladen. Erst 523 Tage später, am 27. Oktober 2007, kehrte dieser Combino wieder nach Potsdam zurück. Am 29. Oktober 2007 wurde er als erster grundsanierter Combino der Presse vorgestellt und kurz darauf wieder im Fahrgastverkehr eingesetzt. Er war aber der zweite grundsanierte Combino, der angeliefert worden war. Als erstes kam der Wagen 405 am 23. Oktober 2007 zurück, der aber wegen einer anstehenden Hauptuntersuchung erst wieder ab dem 6. Dezember 2007 eingesetzt werden konnte. Noch vor der Rücklieferung des ersten grundsanierten Combinos wurden fünf weitere nach Krefeld geschickt:
- 403 am 1. März 2007
- 405 am 7. Mai 2007
- 406 am 18. Juli 2007
- 410 am 20. August 2007
- 408 am 27. August 2007
Eine der verkleideten Verstärkungen des Wagenkastens, davor eine Kamera zur Videoüberwachung.
Foto: Michael Dittrich, 29. Oktober 2007
Veränderungen am Fahrzeug
Als äußerliche Veränderung der sanierten Wagen fällt auf, dass die Rücklichter mit LED-Leuchten ausgestattet worden sind. Der Combino 409 wies keine weiteren Veränderungen auf, später ausgelieferte Wagen haben in den großen Mittelteilen (Sänften) keine Längsrille mehr unter dem Dach.
Im Inneren des Fahrzeugs wurden neue Mobilinfo-Bildschirme eingebaut, die sich, in Fahrtrichtung gesehen, auf der linken Seite des Wagens befinden. An den Übergängen der Gelenkverbindungen befinden sich nun abgedeckte Ecken, darunter ist eine der beschriebenen Verstärkungen des Wagenkastens montiert. Weitere Veränderungen sind für den Fahrgast nicht sichtbar.
Die Sanierung wurde mit der Anlieferung des Combinos 413 am 12. Dezember 2008 abgeschlossen.
Wagennummer | Abholung | Rücklieferung | Wiederinbetriebnahme |
---|---|---|---|
401 | 18.6.2008 | 5.9.2008 | 5.11.2008 |
402 | 26.5.2008 | 22.8.2008 | 13.10.2008 |
403 | 1.3.2007 | 5.8.2008 | 25.9.2008 |
404 | 28.4.2008 | 12.8.2008 | 19.9.2008 |
405 | 7.5.2007 | 23.10.2007 | 6.12.2007 |
406 | 18.7.2007 | 21.12.2007 | 30.1.2008 |
407 | 30.1.2008 | 9.7.2008 | 8.8.2008 |
408 | 27.8.2007 | 11.1.2008 | 26.2.2008 |
409 | 22.5.2006 | 27.10.2007 | 30.10.2007 |
410 | 20.8.2007 | 16.4.2008 | 29.5.2008 |
411 | 7.11.2007 | 22.2.2008 | 5.4.2008 |
412 | 10.12.2007 | 27.3.2008 | 19.12.2008 |
413 | 30.9.2008 | 12.12.2008 | 6.3.2009 |
414 | 9.7.2008 | 17.9.2008 | 10.12.2008 |
415 | 19.8.2008 | 11.11.2008 | 22.12.2008 |
416 | 22.9.2008 | 27.11.2008 | 27.1.2009 |
Der Autor dankt dem Verkehrsbetrieb Potsdam für die zur Verfügung gestellte Liste der Sanierungsdaten.
Autor:
Michael Dittrich
Quelle:
SIEMENS Transportation (Webseite leider nicht mehr vorhanden!)
Hinweis:
Dieser Artikel ist auch in den Berliner Verkehrsblättern, Heft 4/2009 erschienen.